Neuheit und Tradition
“ Die Forderung nach dem Neuen hat sich heiß gelaufen, und man versucht, die Sache abzukühlen, indem man auf den Eventcharakter setzt und ihn hochhält und dann beglückt daraus den fatalen Schluss zieht: Neu ist, was Unterhaltungswert hat. Kunst aber hat mit Unterhaltung nichts im Sinn, Kunst ist Sein, Kunst ist etwas, mit dem man lebt. Es ist ja nicht so, dass wenn man einmal ein Bild gesehenen hat, es ein für alle Mal erfasst ist und man es nie wieder anzuschauen brauchte. Sondern die Hinwendung nimmt kein Ende, weil beständig neue Ansichten hervortreten, so oft man auch hinsieht. „
„Grundsätzlich hat der Umgang mit Tradition offen und kreativ zu sein. Sie ist nie um ihrer selbst willen anzunehmen, das wäre gestrig, bürgerlich, angepasst, mit einem Wort: traditionell. Gegen ein solches Verhalten ist als Lebensentwurf beispielsweise nichts zu sagen, aber es taugt nicht für die Kunst und kann nicht ihr Anliegen sein.
Die Tradition ist eine Größe, die es zu bewältigen gilt, die zu umfahren ist, was nicht meint, sie links liegen zu lassen, sondern mit ihr produktiv umzugehen….. Sie muss selbstverständlicher Bestandteil unseres Handeln und Agierens sein. Unser Umgang mit ihr sollte ungestüm sein …. Nicht zu unterschätzen ist schließlich, dass Tradition letzten Endes als maß, als Größe und Wertung lebendig zu erhalten ist, damit das neue und das Andere sich davon abheben und begriffen werden können. Wenn Tradition als Größe erscheint, die wir zum Urteilen brauchen, dann kann sie zu Norm und Gesetz verhärten und ist in dem Moment, da sie normativ auftritt, anzugreifen und abzulehnen. „
Markus Lüpertz, 2005 aus: Der Kunst die Regeln geben, ein Gespräch mit Heinrich Heil, Markus Lüpertz, Amman Verlag, 2005