Kunst – urteilen wonach?

Es ist wichtig zu verstehen, dass Kunst keinen allgemeingültigen Zustand kennt, sondern ein Kontinuum ist, dessen Zeit- und Raum-Achsen für jeden Künstler sehr unterschiedlich sein können. Es gibt also in der Kunst keine über allem stehende Gesetzmäßigkeit, die für alle und alles zu jedem Zeitpunkt gelten könnte. Man gibt sich leicht der Illusion hin, Kunst sei messbar, angelegt an die Dimensionen der Naturwissenschaften begreifbar und erfassbar. 

Wer Kunst verstehen will, muss wissen, dass es eine unendliche Anzahl von Kunsträumen gibt, innerhalb dessen sich Kunst mit unterschiedlichster Gesetzmäßigkeit entwickelt. Das Kunstuniversum besteht aus vielen Welten, die von Künstlern besiedelt sind. Jeder Kunstraum folgt einem eigenen Gesetz, hat eigene Kräfte und eigene Regeln.  Und nur nach diesen kann die Kunst eines einzelnen Künstlers in eben diesem einzigartigen Raum verstanden und begriffen werden. Jeder Künstler erzeugt also seinen Raum. Man muss dort eintauchen, in die eine Welt. Erst, wenn man das  verstanden hat, versteht man auch die Kunst. Nur wer in der Lage ist, in diesen Raum einzutreten, kann verstehen, was dort passiert. Von außen erschließt sich das nicht.

Kunst ist also individuell. Nie gleich, immer anders. Kunsträume sind Sphären. Gute Kunst bleibt im gleichen Raum, bewegt sich innerhalb dieser Sphären nach immer gleichen Gesetzmäßigkeiten. Gute Kunst erlaubt zu verstehen, anhand des angewandten Regelwerks und dabei verwandter Parameter richtig und falsch zu unterscheiden. Kunst öffnet sich der Analyse, wird nachvollziehbar. Jetzt erst erschließt sich, was der Künstler vorhat, wo er herkommt, warum er so arbeitet, wie und wohin er sich entwickeln kann. Jetzt erst erkennt man die Handschrift, die Geschichte des Künstlers.

Von Gesetzmäßigkeiten in der Kunst gehen allerdings auch Gefahren aus. Die Erkenntnis, gute Kunst könne bestimmten Regeln folgen, erwidert der schlechte Künstler mit Methode. Er neigt zu Wiederholbarkeit entlang bekannter Regeln durch Methode. Methode ist aber ein Stehenbleiben ohne weitere Entwicklung, statisch. Deshalb verschiebt der gute Künstler sein Regelwerk und bricht mit den von ihm selbst vertretenen Regeln, setzt Regeln aus, überschreitet bisherige Grenzen, erweitert seinen Raum um neue Regeln und folgt  fortan neuen Gesetzen. Er ist derjenige, der die Regeln macht, und nur er. Er hat in seiner Sphäre, auf seinem Planeten alleiniges Administratorrecht.

Jede individuelle Welt wird durch jeden Regelbruch also größer, dehnt sich aus, wird dynamisch. Die Kunst insgesamt mit ihren unzähligen Welten dehnt sich aus und wird reicher. Wer in der Lage ist, dies zu verinnerlichen, wird der Kunst ein neues Verständnis entgegen bringen, wird auf die Suche gehen nach der Welt, die ihm zusagt.